Parlamentarischer Abend
Ein Jahr PlanSiG: Rückblick und Ausblick
Ein Jahr PlanSiG: Rückblick und Ausblick
In Zeiten der Pandemie steht die Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer großen Herausforderung. Viele Dialogveranstaltungen und Beteiligungsformate wurden abgesagt. Aber: Trassen, Gebäude und Straßen müssen weiterhin errichtet oder erneuert und Betroffene informiert werden. Deshalb hat der Gesetzgeber zeitnah auf praktische Schwierigkeiten bei der Durchführung von Planungs- und Genehmigungsverfahren reagiert und Ende Mai 2020 das Planungssicherstellungsgesetz verabschiedet, das digitale Beteiligung in Planfeststellungsverfahren ermöglicht. Dadurch wurden pandemiebedingte Verzögerungen bei wichtigen Infrastruktur- und Investitionsvorhaben verhindert. Doch wie sieht das genau in der Praxis aus?
Nach einem Jahr zog die DialogGesellschaft Bilanz und hat mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung zu Fragen diskutiert: Welche Lehren ziehen wir aus der Anwendung des PlanSiG für die Öffentlichkeitsbeteiligung? Wie kann das PlanSiG noch mehr zum beschleunigten Infrastrukturausbau beitragen? Und welche Auswirkungen für das Planungs- und Genehmigungsrecht sind im Zuge der Klimaziele in der nächsten Legislaturperiode zu erwarten?
Vor diesem Hintergrund hatte die DialogGesellschaft am 10. Juni 2021 zu einem digitalen Parlamentarischen Abend eingeladen. Manuela Damianakis, Vorstandsvorsitzende der DialogGesellschaft, moderierte den ersten Teil der Konferenz, die mit 3 Impulsvorträgen startete.
Steffen Bilger, Parlamentarischer Staatssekretär im BMVI, berichtete in seiner Keynote über die vier Planungsbeschleunigungsgesetze, die in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht wurden. Mit den neuen Maßnahmen hofft das Bundesministerium auf ein schnelleres Planen und Bauen. Herr Staatssekretär unterstrich, dass das BMVI einen langfristigen Prozess angestoßen habe, um auf allen Ebenen die Verfahren zu verschlanken, effizienter und digitaler zu machen. So wurden bspw. im Bereich der Schiene bestimmte Genehmigungen erleichtert. Dazu gehören u.a. Elektrifizierung von Bahnstrecken, Umbau von Bahnsteigen sowie Lärmschutzsanierungen. Mit dem PlanSiG wurden nach Auffassung des Staatssekretärs sinnvolle digitale Alternativen für Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungs- und Genehmigungsverfahren geschaffen. Zur Frage nach der Entfristung des Gesetzes zeigte sich Steffen Bilger – vorbehaltlich einer ausstehenden Evaluierung – optimistisch.
Michael Baufeld, Senior Experte Grundsätze Stakeholdermanagement und -kommunikation bei der DB Netz AG, lieferte einen Einblick in die digitale Beteiligung aus der Praxis der DB Netzte. Gleich zu Beginn stellte er fest: „Wir nehmen die Bürgerbeteiligung ernst und begreifen sie als Chance, die Akzeptanz für unsere Projekte zu erhöhen und die Planungen zu verbessern.“ Herr Baufeld berichtete von den positiven Erfahrungen mit digitaler Bürgerbeteiligung und präsentierte die Online-Plattform „DB Bürgerdialog“ (Kombination aus Livestream und moderiertem Chat), wo sich die Beteiligten frühzeitig und umfassend über die Projekte informieren können. Im September 2020 fand das 5. Dialogforum des Bahnprojektes Neubaustrecke Dresden-Prag erstmalig digital statt. Herr Baufeld zeigte sich zuversichtlich und wagte einen Ausblick auf die Beteiligungskultur der nächsten Jahre: „Digitale Informations- und Beteiligungsangebote werden dauerhaft vor-Ort-Termine ergänzen.“
Astrid Köhler, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen Hamburg, stellte das informelle Digitale Partizipationssystem (DIPAS) vor und schilderte die Praxiserfahrungen aus Hamburg im ersten Pandemie-Jahr. Mit diesem Online-Beteiligungs-Tool können die Beteiligten mobil von Ihrem Standort aus oder vor Ort digitale Karten, Lutbilder, 3D-Modelle und Baupläne abrufen und Hinweise zu bestimmten Planungsvorhaben geben. Frau Köhler berichtete von sehr positiven Erfahrungen in den Pilotprojekten: „Planungen lassen sich im 3D-Format besser vermitteln, man kann einen Entwurf von allen Seiten betrachten, Aspekte wie Höhe und Dichte von Baukörpern besser erfassen.“ Auf dieser Grundlage können sowohl Fachleute als auch Laien informierter diskutieren und abwägen. Die Resonanz auf noch mehr digitale Angebote bewertete Frau Köhler als durchweg positiv: „Rückmeldungen wie: „Danke für das Streaming, ich hätte sonst nicht dabei sein können“ – seien die Regel.“
Die durch Heiko Kretschmer, Mitglied der DialogGesellschaft, moderierte Podiumsdiskussion mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages nahm viele der im ersten Teil des Abends entwickelten Fäden auf und führte sie weiter. Die Fragen reichten von einer Entfristung des PlanSiG, über die etwaig mögliche Politisierung der Maßnahmenprojekte, bis hin zu Auswirkungen des Karlsruher-Klimaurteils auf die Planungs- und Genehmigungsprozesse.
Elvan Korkmaz-Emre (SPD) unterstützte die Expertise der DialogGesellschaft, dass frühe Öffentlichkeitsbeteiligung ein wichtiger Faktor bei der Akzeptanz von Infrastrukturvorhaben sei. Frau Korkmaz-Emre betonte: „Wir brauchen einen breiten Infrastrukturkonsens für die Mobilität von morgen, aber auch für den Umwelt- und Klimaschutz.“ Konflikten dürfen den Infrastrukturausbau nicht dominieren. Es bedürfe einer positiven Planungs- und Beteiligungskultur.
Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) machte gleich zu Beginn deutlich, dass die Entscheidungen über Beschleunigungsverfahren nicht zu sehr in die Parlamente verlagert werden dürfen, da sie sonst Gefahr laufen, politisiert und für Wahlkämpfe genutzt zu werden. Hinsichtlich der digitalen Beteiligung erläuterte Frau Wagner ihre Einschätzung, dass die Vorteile der digitalen Beteiligung mit den Vorteilen des direkten, physischen Austauschs unbedingt verknüpft werden sollten. Zum Schluss appellierte die Abgeordnete an ihre Bundestagskolleg:innen „Eine bessere und umfassende Beteiligungskultur kann nur funktionieren, wenn wir uns als Parlamentarier:innen unserer Verantwortung für die Beteiligungsprozesse stellen.“
Torsten Schweiger (CDU/CSU) steht einer frühen Beteiligung durchaus offen gegenüber, wünscht sich aber zugleich weniger Klagen im späteren Verlauf des Verfahrens. „Wir wollen gesetzlich sicherstellen, dass jeder seine Einwände frühzeitig vorbringen muss und verspätete Klagen durch Präklusion nicht mehr berücksichtigt werden müssen.“ Um die Vorschläge zur Verkürzung der Abläufe im Planung- und Genehmigungsrecht umsetzen zu können, müssen auch die Vorteile der Digitalisierung genutzt werden, sowie ausreichend Personal in den Planungs- und Genehmigungsbehörden eingesetzt werden.
Torsten Herbst (FDP) sprach sich für eine frühzeitige und umfassende Beteiligung aus, sieht jedoch auch Beschleunigungsmöglichkeiten durch eine bessere Verzahnung von Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren. „Wir wollen Planungsverfahren beschleunigen, indem wir Instanzen verkürzen und Doppeluntersuchungen abschaffen, das Potenzial der Digitalisierung in allen Bereichen der Planung nutzen, die Planungs- und Genehmigungsbehörden gezielt mit ausreichend Personal ausstatten sowie eine frühzeitige und umfassende Bürgerbeteiligung sicherstellen“ – konstatierte Torsten Herbst.
Thomas Lutze (DIE LINKE) griff die Frage nach dem Umgang mit denjenigen Zielgruppen auf, die nicht online sind oder es nicht aus unterschiedlichen Gründen (bspw. materiell) sein können. Gerade ältere Zielgruppen benötigen nach wie vor traditionellere Beteiligungsmöglichkeiten. „Bei der Planung wollen wir Bürger:nnen von Anfang an voll einbeziehen und wirkliche Alternativen zur Diskussion stellen. Meinungspluralität und Bürgerbeteiligung sind Bausteine einer starken Demokratie.“ – unterstrich Herr Lutze. In diesem Zusammenhang bliebe noch eine wichtige Frage zu klären „Wie schaffen wir es, den dringend notwendigen Infrastrukturausbau in Deutschland zu beschleunigen und gleichzeitig die Beteiligungsrechte zu sichern?“
Die Veranstaltung zeigte auf, dass eine offene Beteiligungskultur und ein beschleunigter Infrastrukturausbau kein Widerspruch sind. Denn Dialog und Beteiligung verbessern die Planungsverfahren und steigern die Akzeptanz der daran Beteiligten. Vorhabenträger und zunehmend auch Behörden nutzen die Chancen digitaler Beteiligung und beziehen diese aktiv in Planungsprozesse für Infrastrukturvorhaben ein, indem sie ihre Veranstaltungen in den digitalen Raum verlegen oder hybride Formate nutzen. Die Teilnehmenden berichteten von positiven Erfahrungen mit den Instrumenten des PlanSiG und sprachen sich deutlich für deren Entfristung aus. Gleichwohl wirft das PlanSiG weitere Fragen nach bislang fehlender Rechtssicherheit im formellen Verfahren auf. (bspw. Qualitätssicherung der Online-Erörterungstermine). Daher bedarf es noch einer Evaluierung und der Einbeziehung wissenschaftlicher Expertise.
Die Politik hat das Potential der Beteiligung erkannt, wünscht sich aber zugleich einen gesellschaftlichen Konsens und die Befürwortung von Infrastrukturvorhaben, um Projekte schneller umzusetzen und den Vorhabenträger:innen Planungs- und Investitionssicherheit zu geben. So können der Infrastrukturausbau vorangetrieben und das allgemeine Wohlstandsniveau in Deutschland gesichert werden.
Eine besonders spannende Frage bleibt aber, welche Rahmenbedingungen nötig sind, um den dringend notwendigen Infrastrukturausbau in Deutschland zu beschleunigen und gleichzeitig dem Anspruch der Öffentlichkeit auf Transparenz und Mitsprache gerecht zu werden. In den nächsten Monaten geht die DialogGesellschaft dieser Frage auf die Spur und hofft schon bald, ihre Erkenntnisse mit Ihnen teilen zu können. Bleiben Sie dabei!
Kontakt
Angelina Groß
Vorstandsreferentin